Das Reisejahr 2021 – zurück zum Gewohnten oder Aufbruch zu einer neuen Kultur des Reisens?

Wir sind angekommen, angekommen im 2. Corona-Virus-Krisenjahr.

Wir versuchen uns mit Zuversicht – die Impfungen haben ja zum Jahreswechsel begonnen – einzurichten in einem neuerlichen Lockdown-Alltag. Ein Alltag mit Home-Office, Home-Schooling, 2. Welle , Social-Distancing, genügend Toilettenpapier und Nudeln, immer wieder Spahn und immer seltener Drosten.

Was uns fehlt sind Nähe, Umarmungen, Freunde treffen, Sport, Kino, Theater, Konzerte …. und das Reisen als Weg aus aus dem Alltag und Weg in andere spannende Alltage.

Mein Blick aus dem Fenster geht weit hinaus über das Leinetal und trifft am Horizont auf einen weißlich-grauen Schneewolkenhimmel. An vielen klareren Tagen kann ich die Bergspitzen des Solling und des Leine-Weser-Berglands sehen und meine Gedanken schweifen dann ab. Ich virtualisiere mir dann oft eine intensive Waldwanderung mit Waldbaden, Baumumarmung und Wildtierbeobachtungen. Ich werde zum virtuellen Touristen; Virtual Tourism mit schon mehr als 1.100.000 Einträgen bei Google Scholar ist ein großer Trend in diesen Pandemiezeiten und auch eine große Zukunftschance für viele Destinationen.

Und auch die lokale Umsetzung ist mir sogar im neuerlichen ‚Lockdown‘ möglich. So war ich in den vergangenen 14 Tagen im Schnee des Harzes, des Hohen Meissners und des Hengstbergs unterwegs. Keine wirklichen Reisen im engeren Sinne, aber schöne kleine Fluchten mit intensiven Unterwegserfahrungen der Sinne; kleine Differenzerfahrungen zum Alltag im Home-Office.

Dieser Trend zu Ausflügen in die näheren Umgebung – in Tourismusmanagement mittlerweile mit dem Kunstwort Staycation bezeichnet – war schon vor der Covid-19-Pandemie ein wachsender Trend in einigen Regionen, vor allem – getrieben durch die Folgen der 9.11-Terrorattacken – in Nordamerika. Staycation – bei Google Scholar immerhin mit mehr als 1.600 Einträgen vertreten – wurde zu einem wachsenden Trend, auch aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen. Auch schon vor der Covid-19-Pandemie verlor der Massentourismus u. a. in Form von Overtourism endgültig seine vordergründig weiße Weste der gesellschaftlichen und ökologischen Unschuld. Und Overtourism bringt es schon auf mehr als 8.100 Einträgen bei Google Scholar.

Aber so sehr sich die Tourismusindustrie und insbesonders deren multinationale Veranstalterkonzerne wie TUI und deren großen Kreuzfahrtredereien Carneval Corporation oder die internationalen Fluggesellschaften eine schnelle Rückkehr zum „business as usual“ wünschen, so wenig wird es auf mittlere Sicht eine unbedingte Rückkehr zum alten Tourismusboom geben. Die (post)modernen Gesellschaften mit ihren wachsenden, dynamischen Mittelschichten integrieren gerade neue Wertevorstellungen und neue Nachfragestrukturen.

Das moderne Schweden hat nicht nur die junge Umweltaktivistin Greta Thunberg hervorgebracht, sondern auch ein wichtiges und wachsendes Phänomen des Wertewandels im Reiseverkehr: Flygskam (Flugscham, engl. Flight Shame). Zum Begriff Flight Shame finden sich auf Google Scholar schon mehr als 334.000 Einträge.

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Externer Quelle: ” Schweden: Fliegst du noch oder schämst du dich?” von arte.tv

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Und vor allem die sozialen und psychologischen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie werden solche Wertewechsel stark beeinflussen und befördern. Schon seit 2019 macht eine positive Wertevariante des modernen Reiseverhaltens in Schweden Furore: tågskryt, was man meistens und insbesonders in den sozialen Medien mit „Zugstolz“ übersetzt.

Aber es sind nicht nur neue sozioökologische Werte, die das internationale Reisegeschehen stark verändern. Schon seit mehreren Jahrzehnten erkennen wir Tourismusexperten einen anderen nachhaltigen Trend im internationalen Tourismus: schleichende Entschleunigung in Reiseverkehren. Mit Durchbruch des internationalen Flugverkehrs seit den 1950er Jahren auf Basis reichweitenstarker Propellerflugzeuge wie die Douglas DC-6 oder Lockheed Constellation und der nachfolgenden Einführung von Düsenjets wie Lockheed Super Constellation und schließlich in den 1970er Jahren die Boing 747 (Jumbo Jet) stieg die Reisegeschwindigkeit im Flugverkehr kontinuierlich an. Den Höhepunkt in der Reisegeschwindigkeit erreichte die Düsenjettechnik mit der kommerziellen Inbetriebnahme von Überschallfleugzeugen wie die russische Tupolew Tu-144 (1975-1978) und die französich-britische Concorde (1976-2003). Die Strecke New York – London konnte so in nur 3 bis 3,5 Stunden Flugzeit bewältigt werden, also etwa in der Hälfe der Zeit, die moderne Unterschalljets benötigen.

Sogar metropolitane Lebenstile sehr wohlhabender Großstädter entwickelten sich unter Nutzung des Concorde-Linien. So etwa der Lebenstil der sogenannten NyLons; diese waren Personen, die regelmäßig mehrmals wöchentlich oder sogar täglich zwischen den Metropolen London und New York hin und her flogen.

Aber diese Überschallflugzeuge waren verkehrsökologische Dinosaurier. Sie verbrauchten auf ihren Langstreckenflügen Unmengen von Kerosin und produzierten Unmengen von giftigen Abgasen und ihre Flüge verursachten übergroße Lärmschleppen. Nach einem verheerenden Absturz einer Concorde 25. Juli 2000 auf dem Flughafen Paris Charles de Gaulle wurde das endgültige Ende (2003) des kommerziellen Überschallfluges eingeleitet.

Statt weiterer Beschleunigung ergab sich ab dem Jahrtausendwechsel nach und nach eine Entschleunigung des internationalen Flugverkehrs. Überschallflugzeuge gab es nicht mehr und auch die Unterschallflugzeuge flogen auf vielen Strecken plötzlich deuttich langsamer. Dies hatte häufig mit lokalen Problemen in der Flugabfertigung an den Flughäfen zu tun. Auf den vielgenutzten Großflughäfen kam es immer öfter zu einem Anflugstau, und anfliegende Flugzeuge wurden z. T. in stundelangen Warteschleifen im Luftraum um die Flughäfen herum „geparkt“. Ein teures Parken in der Luft, das viele Fluggesellschaften dadurch zu vermeiden such(t)en, indem sie Flugzeuge schon Stunden vorher soviel langsamer fliegen ließen, dass sie pünktlich für einen auf einen späteren Zeitpunkt verschobenen Landeslot am Zielflughafen auftauchten. Die Gründe für die Flugstaus an den Großflughäfen sind vielfältig. So spielen Wetterkapriolen wie die typischen winterlichen Schnee- und Eisstürme im Nordosten der USA oder ozeanische Sommerstürme (Orkane, Hurrikans, Taifune, tropische Zyklone etc.) aber auch überfordertes Abfertigungsmanagement (Ground Handling) und die nach den 9-11-Terrorattacken eingeführten verschärften und langwierigen Sicherheitsmaßnahmen eine gewichtige Rolle.

Auch nach dem möglichen Abflauen der Covid-19-Pandemie im Sommerhalbjahr 2021 ist mit einer weiteren Entschleunigung an den Kontenpunkten des internationalen Tourismus, insbesonders den Flughäfen, zu rechnen. Gesundheitschecks wie Fiebermessungen und Ähnliches werden an der Tagesordnung sein. Die sogenannten Travel Hazzles (An- und Abreiseprobleme) werden weiter zunehmen und mehr und mehr Menschen werden das besagte Staycation, also Urlaub in der eigenen Region, als neue Urlaubsvariante wählen.

[… vielleicht mehr in ein paar Tagen]